Entschlossene Wende, umsichtiges Vorgehen - Barack Obamas Neubeginnen

Obama-Postkarte. Foto: jurvedson/ Creative Commons

17. Juni 2009
Von Joscha Schmierer
Von Joscha Schmierer

Durch die Ereignisse im Iran wird die Bereitschaft Barack Obamas, auf das dortige Regime zuzugehen, einer harten Prüfung unterzogen. Eine verschärfte Neuauflage der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad wäre nicht nur eine schwere Enttäuschung aller Kräfte, die sich von den Wahlen einen Schritt in eine offenere und tolerantere Zukunft versprachen, sie würde auch die Gespräche erschweren, die der amerikanische Präsident der iranischen Führung angeboten hat.

Gesprächsbereitschaft naiv?

Manche Kommentatoren sehen damit den verständigungsbereiten Ansatz Obamas bereits als gescheitert an. So folgert etwa Richard Herzinger aus der Aussicht auf vier weitere Jahre Regentschaft eines in seinem Sendungsbewusstsein sogar noch bestärkten Präsidenten Ahmadinedschad: „Für Obama bedeutet dies einen schweren Rückschlag. Seine Umarmungsoffensive gegenüber der „islamischen Welt“ war nicht zuletzt von dem Kalkül bestimmt, den Hardlinern in Teheran den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Machtwechsel zu befördern.

Nun aber wird er sein Dialogangebot gegenüber einem womöglich noch anmaßender auftrumpfenden Regime einlösen müssen. Es wird sich jetzt rächen, dass er dem Iran vorschnell und im Alleingang Vorleistungen für Gespräche erlassen hat – wie den vom UN-Sicherheitsrat geforderten Stopp der Urananreicherung. Die vom Iran unbeirrt angestrebte Konfrontation wird Obama bald annehmen müssen. Mehr denn je zeichnen sich im Atomstreit nur zwei Alternativen ab: Entweder noch einmal drastisch verschärfte Sanktionen gegen Teheran oder eine Militäraktion. Es sei denn, der Westen will sich mit der iranischen Bombe endgültig abfinden.“  Endgültig ist hier gar nichts. Und die Alternative, die Daumenschrauben anzuziehen oder gleich zu bomben, ist in Wirklichkeit keine, es ist ein Eskalationsszenario.

Im Verdacht der Naivität schwingt der alte Vorwurf des Appeasements gegenüber einer die Welt bedrohenden Diktatur mit. In den letzten Jahren war er gängige Münze in der Auseinandersetzung mit jedem, der an der Klugheit der westlichen Iranpolitik Zweifel äußerte. Es wird einfach ausgeschlossen, bei einem Staat wie dem Iran zwischen einem friedlichen Atomprogramm und einer Nuklearbewaffnung unterscheiden zu können, also den Atomwaffensperrvertrag einzuhalten und durchzusetzen. Dann haben natürlich Gespräche keinen Sinn, die genau dieses Ziel verfolgen.

Den Iran als Staat ernst nehmen

Wenn die Wiederwahl Ahmadinedschads ein Scheitern internationaler Politik anzeigt, dann ist es das Scheitern des Versuchs, den Iran in die Knie zu zwingen, bevor mit ihm zu reden ist. Aus diesem Scheitern leitet Obama seine Politik ab, die den Iran als Staat unter Staaten ernst nimmt. Das erst macht ja die Verpflichtungen aus internationalen Verträgen akzeptabel und nimmt ihnen den Geschmack des Oktroi. Diesen Geschmack hat die bisherige Politik gegenüber dem Iran. Dem Aufbegehren gegen sie und gegen das wohlbestallte nachrevolutionäre Establishment verdankt Ahmadinedschad seinen Rückhalt in den ärmeren Vierteln und auf dem Land. Dies zu bestreiten, wäre Blindheit.

In der amerikanischen Presse gab es weniger Hoffnungen auf eine Niederlage Ahmadinedschads als hierzulande. A polarized Iran goes to the polls. Presidential Race turns into a Battle of Haves and Have nots, old and new Guard, titelte die liberale Washington Post am Wahltag. Dass die „Have nots“ im Iran immer noch eine breite Mehrheit bilden, war auch Barack Obama bekannt, als er auf den Iran zuzugehen begann. Auch kannte er die Verfassung des Iran, die dem iranischen Präsidenten nur begrenzte Macht einräumt. So richtete sich Obamas Botschaft zu Newroz vom 20. März  auch nicht an einen zukünftigen Präsidenten, sondern an das iranische Volk und die „Führer der Islamischen Republik Iran“. Ebenso wenig wie man das Wahlergebnis im Libanon schlicht den Initiativen des amerikanischen Präsidenten anrechnen sollte, kann man das Ergebnis im Iran nutzen, um diese Initiativen zu desavouieren, nachdem sie gerade erst eingeleitet worden sind.

Mut und Geduld gefordert

Nirgendwo hat Obama behauptet, seine rasch geänderte internationale Politik werde rasche Erfolge zeitigen. Ihr Ziel einer dauerhaften Verständigung lässt solche Illusionen nicht zu. Das doppelte Kennzeichen von Barack Obamas Neubeginnen ist, die Schwierigkeit der Aufgabe nicht als Ausrede zu nutzen, um sie gleich gar nicht in Angriff zu nehmen und das Aufgreifen der Aufgabe nicht schon für ihre Erledigung auszugeben. Studenten in Ankara sagte er zu seiner Politik der nuklearen Abrüstung, seiner Nahostpolitik und seiner Politik gegenüber dem Iran, er wisse, dass all diese Dinge schwierig seien. Er sei nicht naiv. Wenn es leicht wäre, wären sie schon erledigt. „Wenn wir es nicht versuchen, wenn wir uns nicht viel vornehmen, werden wir gar nicht vorankommen. Ich denke aber, dass viel zustande gebracht werden kann.”  Zu beginnen sei immer mit dem Dialog. Das halte er für das Wichtigste.

Naiv war die lange vorherrschende Meinung, der Atomwaffensperrvertrag würde nicht gefährdet, wenn die Verpflichtung der Nuklearmächte zur Abrüstung folgenlos bleibt. Nicht naiv ist es, den Studenten in Ankara wie Obama zu erklären: „Wenn wir dem Iran sagen wollen, er solle keine Nuklearwaffen entwickeln, weil sonst alle in der Region sie haben wollten und ein atomarer Rüstungswettlauf im Nahen Osten beginne, der für alle gefährlich sei – wenn wir das den Iranern sagen wollen, ist es hilfreich, wenn wir auch sagen, wir werden unsere eigene Atomrüstung zurückfahren. Dann haben wir größere moralische Autorität bei diesen Ansprüchen.“ 

Entscheidend ist dann, dass die USA bei ihren Abrüstungsbemühungen mit Russland vorankommen. Durch den Wahlsieg Ahmadinedschads ist die moralische Autorität der USA in Sachen Nonproliferation in keiner Weise geschwächt. Sie war dahin, ehe Obama mit seiner Prager Rede die Initiative für eine Welt ohne Atomwaffen lancierte. Ahmadinedschad hat die Rolle des underdog nicht erfunden. Er versteht sie zu nutzen, um den Rebellen zu geben und eigene moralische Autorität aufzubauen. Zumindest im Iran selbst ist ihm dabei nicht jeder Erfolg abzusprechen.

Eine neue Sprache

Obamas angebliche Umarmungsoffensive gegenüber der „islamischen Welt“ ist kein weiterer „Dialog der Kulturen“, sondern ein Versuch, die Tatsachen der globalisierten Welt ins Bewusstsein zu rücken. Dazu dienen die Hinweise auf die eigene Biografie wie auf den zusammengesetzten Charakter der amerikanischen Gesellschaft. Die Vorstellung ist nicht, gegeneinander abgeschlossene Gesellschaften zum Dialog zu veranlassen, sondern ins Bewusstsein zu rufen, wie sehr Gesellschaften, die sich identitär definieren wollen, an ihrem eigenen Charakter und den Eigenarten der globalisierten Welt vorbeisehen und –gehen.
Die Redeweise von einer Welt des Islam kann identitäre Vorurteile verfestigen, besonders wenn diese Welt territorial verstanden wird.

Obama und seine Berater scheinen sich der Problematik dieser Redeweise in den vergangenen Monaten bewusst geworden zu sein. Von Anfang an bestand die Absicht Obamas „sich an die muslimische Welt von einer muslimischen Hauptstadt aus zu wenden“  Als er diese Rede dann aber in Kairo hielt, wandte er sich an die „Muslime rund um die Welt“ und sprach von „Ländern mit einer Mehrheit von Muslimen“ statt von muslimischen Ländern . Diese genauere Redeweise zieht die Konsequenz aus dem Verständnis der USA als einem Land von „Muslimen, Juden, Christen und Nicht-Gläubigen“, die alle gewisse Hoffnungen und Träume gemeinsam haben. Es wäre unsinnig diesen Vereinigten Staaten eine Welt der Muslime gegenüber zu stellen.

Der nächste Schritt ist dann, auch die „Welt der Muslime“ zu pluralisieren und zu individualisieren, von den Muslimen rund um die Welt zu sprechen und von „muslim communities“ wie von anderen religiösen Gemeinschaften auch. Mir scheint diese Änderung der Redeweise eine Sicht auf die Welt, die Staaten und Gesellschaften bewusst auszudrücken, die in der Rede von der „Welt des Islam“ verschwindet, jedoch eine grundlegende Einsicht von Obamas Politik ausmacht: Miteinander reden und sich verständigen können nur Menschen und sie tun das, um gemeinsame Probleme gemeinsam zu bearbeiten:

„So können wir überall in der Welt den Dialog in interreligiösen Dienst überführen, so führen Brücken zwischen Völkern zu Taten – sei es nun bei der Bekämpfung der Malaria oder bei der Hilfe nach einer Naturkatastrophe.“. Der ehemalige community worker aus Chicago, der es schon dort mit einer zusammengesetzten Gesellschaft zu tun hatte, ist ein Praktiker geblieben. Reden soll Handeln ermöglichen, nicht ersetzen.

Pragmatismus im besten Sinn

Es ist ein steiniger Weg, den Obama geht. Er findet einen Haufen ungelöster Probleme vor, aber keines ist so verfahren wie der israelisch-palästinensische Konflikt. Auch hier hat sich die neue US-Regierung sofort und mit klarer Richtung ans Werk gemacht, ohne sich der Illusion hinzugeben, schnell zu einer Lösung zu kommen. Die neokonservative Strategie, den Konflikt über den Regimewechsel im Irak und im Iran zu lösen, ist gescheitert. Der israelisch-palästinensische Konflikt bleibt der Kern der regionalen Problematik. Er muss direkt angegangen werden und die Lösung muss von den Hauptbeteiligten getragen werden. Die Wegzeichen zu einer Zwei-Staaten-Lösung sind alle gesetzt und bekannt. An entscheidenden Abschnitten gibt es kein Nacheinander, sondern nur ein Miteinander. Israelischer Siedlungsstopp und palästinensischer Gewaltverzicht sind gleichermaßen und gleichzeitig Bestandteil eines neuen Friedensprozesses.

Obama fühlt sich bei der Forderung nach einem Siedlungsstopp durch keinerlei angebliche Absprachen seines Vorgängers gebunden. Zugleich haut er nicht öffentlich auf den Tisch. Auf die Frage, was er machen wolle, wenn die israelische Regierung seinem Rat nicht folge, meinte er, es sei noch früh im Prozess und die Regierung Netanyahu kaum im Amt. Es sei verständlich, wenn der israelische Premierminister zuerst an die Sicherheit Israels denke: „Aber wenn es strategisch um Israels Sicherheit geht, ist der Status Quo unhaltbar“, meinte Obama in einem Interview. Das ist eine klare Absage an die Vorstellung, die Zeit wirke zu Israels Gunsten und es sei in seinem Interesse, den Status Quo möglichst zu befestigen.

Obama hat seinen Sonderbotschafter Mitchell schnell ernannt und auf die Reise geschickt, um die Regierungszeit optimal zu nutzen - für die diplomatische Bearbeitung des Nahost-Problems. Die bisherigen Präsidenten gingen es immer erst am Ende ihres Mandats an, wenn sie nichts mehr zu verlieren hatten.

Entschlossene Wende, umsichtiges Vorgehen ist Obamas Methode. Er verfolgt sie auf allen Feldern, auch bei der Schließung Guantanamos und dem Bruch mit den Folterpraktiken unter der vorigen Regierung. Das ist Pragmatismus im besten Sinn. Die Gegner der Wende werfen Obama Idealismus und Leichtsinn vor, die Gegner des umsichtigen Vorgehens klagen, es bleibe doch alles beim Alten. Beide lassen sich auf Obamas pragmatische Politik -  seinen prinzipiengeleiteten Realismus - nicht ein, die einen aus Beschränkung, die anderen aus Unverständnis der Schwierigkeiten, einen großen Staat aus der Sackgasse herauszuführen. Der Erfolg Obamas wird davon abhängen, dass er sich weder von der einen noch von der anderen Seite aus der Bahn werfen lässt und weiterhin neuen Mut und neue Geduld verbindet.

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

 

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.